Die Welt des digitalen Lernens boomt – insbesondere sogenannte Online-Coachings, Mentoring-Programme und digitale Wissenskurse haben sich in den letzten Jahren zu einem florierenden Markt entwickelt. Doch gerade im Bereich des Online-Coachings war die Rechtslage bislang uneinheitlich und für viele Betroffene – ob Unternehmer oder Verbraucher – schwer zu durchdringen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem aktuellen Urteil (Az. III ZR 8/23) nun grundlegende Leitlinien aufgestellt, die eine neue Ära der Rechtsklarheit einläuten. Im Zentrum steht das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) – ein bisher oft unterschätztes Gesetz, das nun stärker den je in den Fokus rückt.
Was ist das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG)?
Das FernUSG stammt ursprünglich aus dem Jahr 1977 und verfolgt ein klares Ziel: den Schutz derjenigen, die Lehrangebote außerhalb eines klassischen Schul- oder Seminarraums in Anspruch nehmen, insbesondere im häuslichen Umfeld und ohne unmittelbaren persönlichen Kontakt zu den Lehrenden.
Anwendungsbereich des FernUSG (§ 1 Abs. 1 FernUSG):
Fernunterricht im Sinne des Gesetzes liegt vor, wenn alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
- Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten (d. h. keine rein beratende oder psychologische Tätigkeit),
- gegen Entgelt (kostenpflichtig),
- überwiegend im Wege des Fernunterrichts, also räumlich getrennt zwischen Lehrendem und Lernendem,
- mit einer Lernerfolgskontrolle.
Besonderheit des FernUSG:
Ist das Gesetz anwendbar, muss der Anbieter über eine Zulassung nach § 12 FernUSG verfügen, die von der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) erteilt wird. Fehlt diese Zulassung, ist der Vertrag nach § 7 FernUSG nichtig – mit der Folge, dass keine Zahlungsverpflichtung mehr besteht und sogar bereits gezahlte Beträge zurückverlangt werden können.
BGH-Urteil schafft Rechtsklarheit – fünf Erkenntnisse
Die Entscheidung des BGH in der genannten Sache war längst überfällig – denn die unterinstanzliche Rechtsprechung war über Jahre hinweg uneinheitlich. Der BGH stellt nun in mehreren Punkten klar, wie Coaching-Verträge juristisch zu bewerten sind.
1. Das FernUSG gilt auch für Unternehmer
Bislang war umstritten, ob das FernUSG ausschließlich Verbraucher schützt oder auch auf Unternehmer anwendbar ist, die sich z. B. im Rahmen ihrer Selbstständigkeit coachen lassen. Der BGH hat diese Frage eindeutig bejaht.
Rechtliche Begründung:
- Der Gesetzeswortlaut enthält keine Einschränkung auf Verbraucher.
- Eine teleologische Reduktion (also eine Einschränkung der Anwendbarkeit durch Auslegung) sei nicht zulässig.
- Der Schutzbedarf besteht auch bei Unternehmern: Sie sind vor Vertragsabschluss regelmäßig nicht in der Lage, die Qualität des vermittelten Lernstoffs zu prüfen – das war ein zentraler Beweggrund des Gesetzgebers.
- Auch bei Unternehmern besteht die Gefahr, Verträge über teure Online-Coachings zu schließen, ohne objektiv beurteilen zu können, ob das Angebot seriös oder inhaltlich wertvoll ist.
Folge:
Coachings, Mentoring-Programme oder andere Lernangebote können auch dann dem FernUSG unterfallen, wenn der Teilnehmer als Unternehmer handelt – z. B. ein Selbstständiger, der sich im Bereich Online-Marketing oder Finanzbildung „weiterbilden“ möchte.
2. Vermittlung von Fähigkeiten ≠ Unternehmensberatung
Ein häufiger Einwand von Coaching-Anbietern lautet: „Wir beraten lediglich unternehmerisch – daher ist das FernUSG nicht einschlägig.“ Der BGH macht nun deutlich, dass es auf den wahren Inhalt des Vertrags ankommt – nicht auf die Etikettierung.
Entscheidend ist:
- Werden Kenntnisse oder Fertigkeiten vermittelt?
- Gibt es konkrete Lernziele?
- Bezeichnet sich der Anbieter als „Akademie“, „Schule“, „Trainingsprogramm“ o. Ä.?
- Wird auf „Wissen“, „Know-how“ oder „finanzielle Bildung“ abgestellt?
- Dann liegt Fernunterricht vor – und nicht lediglich eine Unternehmensberatung.
Praxisbeispiel:
Ein Vertrag, der Module wie „Mindset-Training“, „Skalierung durch digitale Prozesse“ oder „Vertriebssystematik“ enthält, ist regelmäßig auf Wissensvermittlung ausgerichtet – unabhängig davon, ob dies im Gruppensetting oder individuell erfolgt.
3. Synchroner vs. asynchroner Unterricht – Vertragsgestaltung entscheidend
Das FernUSG verlangt, dass der Unterricht räumlich getrennt stattfindet. Die Praxis digitaler Coachings führt dabei zu neuen Abgrenzungsschwierigkeiten:
- Asynchron: Lernvideos, Aufgaben, Inhalte „on demand“ – klare Anwendbarkeit des FernUSG.
- Synchron: Live-Calls oder 1:1-Gespräche via Zoom, Teams etc.
Der BGH stellt klar: Auch Live-Calls können Fernunterricht sein, wenn:
- sie ergänzend zu Selbstlern-Inhalten stattfinden,
- sie aufgezeichnet und zur Verfügung gestellt werden (asynchrone Nachbearbeitung),
- keine physische Präsenz erfolgt.
Ein rein virtuelles Miteinander reicht nicht aus, um die räumliche Trennung aufzuheben. Der entscheidende Faktor ist, ob die Vermittlung vornehmlich über digitale Kanäle erfolgt – und das ist in fast allen Coaching-Angeboten der Fall.
4. Lernerfolgskontrolle: Bereits Fragen in Live-Calls reichen
Ein weiterer Knackpunkt war stets die Frage, ob im Coaching eine Lernerfolgskontrolle im Sinne des FernUSG erfolgt – eine zwingende Voraussetzung für die Anwendung des Gesetzes.
Der BGH setzt hier niedrige Hürden:
- Wenn Teilnehmer im Rahmen des Programms Fragen zum Verständnis stellen dürfen, liegt eine Lernerfolgskontrolle vor.
- Auch „Hausaufgaben“ oder selbstständig durchzuführende Übungen gelten als Kontrolle – selbst wenn keine Bewertung erfolgt.
Konsequenz:
Ein erheblicher Teil gängiger Coaching-Verträge enthält automatisch diese Elemente – was zur Anwendbarkeit des FernUSG führt.
5. Rückabwicklung: Rückzahlung bereits geleisteter Beiträge möglich
Ist ein Vertrag nichtig, stellt sich die Frage: Was passiert mit bereits geleisteten Zahlungen? Hierzu sagt der BGH:
- Grundsätzlich ist eine Rückzahlung geschuldet.
- Der Anbieter kann Wertersatz geltend machen – aber nur, wenn er diesen exakt beziffert und nachweist.
- Gelingt ihm das nicht, geht dies zu seinen Lasten.
Fazit:
Viele Betroffene, die in Vorleistung getreten sind, können nicht nur künftige Zahlungen verweigern, sondern unter Umständen sämtliche gezahlten Beiträge zurückfordern – insbesondere, wenn der Anbieter keine ZFU-Zulassung besitzt.
Was heißt das konkret für Unternehmer und Verbraucher?
Die Entscheidung des BGH bringt erhebliche rechtliche Erleichterungen für Teilnehmer an Online-Coachings – unabhängig davon, ob sie als Verbraucher oder als Selbstständige auftreten:
✅ Rechtssicherheit: Die Anwendbarkeit des FernUSG ist nun klar geregelt.
✅ Vertragsprüfung möglich: Viele Coaching-Verträge können rechtlich angegriffen werden.
✅ Ausstieg erleichtert: Wer in einem unzulässigen Fernunterrichtsvertrag gebunden ist, kann unter Umständen ohne Kündigung aussteigen.
✅ Rückforderungsansprüche prüfen: Bereits gezahlte Beiträge sind ggf. vollständig zurückzuerhalten.
Handlungsempfehlung
Wenn Sie Coaching-Verträge abgeschlossen haben und Zweifel an deren Zulässigkeit bestehen, sollten Sie folgende Schritte prüfen:
- Existiert eine Zulassung des Anbieters nach § 12 FernUSG (ZFU)?
- Werden Inhalte asynchron oder mit ergänzenden Live-Calls vermittelt?
- Gibt es Hinweise auf Lernziele, Erfolgskontrollen oder Hausaufgaben?
- Wurden Sie als Unternehmer oder Verbraucher angesprochen?
Auch mündlich geschlossene Verträge oder solche, die per Zoom-Verhandlung zustande kamen können den gesetzlichen Anforderungen unterliegen.
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